Vor wenigen Tagen fuhr ich zur Beerdigung der Mutter einer sehr langjährigen Freundin.
Fast 99 Jahre alt war sie geworden. Welch unglaublich reiche Zahl an Jahren!
In aller Trauer um sie war viel Dankbarkeit spürbar: für ihre grundsätzlich so positive Einstellung zum Leben, ihre Kraft, sich auf die Dinge des Lebens einzulassen, auch die schweren. Wege zu finden, sich zu arrangieren und sich dabei selbst nicht zu verlieren. Sie bewahrte sich einen freien Geist und hatte ein Hobby, dem sie 70 Jahre nachging, nämlich den Kirchenchor. Sie sang leidenschaftlich gerne und dort traf sie viele Menschen und hatte ihre Freude an all den sozialen Beziehungen. Sie behielt eine Herzlichkeit, die bis kurz vor ihrem Sterben wirksam war und auch den Mitarbeitenden in den letzten Monaten ihres Lebens in einem Pflegeheim wohltat. Ich selbst habe sie kennengelernt, als ich noch eine ganz junge Frau war. Wie gut sie mir damals tat! Bei der Beerdigung waren vielleicht 40 Leute. Die nahe Familie, Verwandte, Bekannte. Die Familie, vor allem ihre beiden Töchter, hatten sie in den letzten Jahren zu Hause nah begleitet und unterstützt. Es war ihr sehr lange möglich dort zu bleiben. Die Verwandten hatten sie bei gemeinsamen Festen gesehen, zum Teil war das auch sehr lange her. Die Bekannten aus der ländlichen Stadt kannten sie wohl so gut wie „schon immer.“ So lange sie konnte, war sie auf dem Fahrrad unterwegs und immer für ein Schwätzchen aufgelegt.
Warum erzähle ich das hier in der „Seelentanke“?
Zum einen, weil es mir wirklich tiefe und nachhaltige Freude gemacht hat, sie kennenzulernen und sie eine Spur in mir hinterlässt, die ich nicht missen möchte. Vielleicht gibt oder gab es auch in Ihrem Leben solche Menschen. Vielleicht kann das jetzt – mitten im Jahr – ein Moment sein, an diese zu denken und wahrzunehmen, was an ihnen so guttut oder guttat. Oft ja in ihrer ganz natürlichen Weise. Und zum anderen fiel mir auf wie wertvoll diese Gemeinschaft in ihrem Beisammensein war: in der Kapelle beim Trauergottesdienst, auf dem Friedhof, hinterher in der Wirtschaft bei Bratwurst und dann Hefekranz, einer Tradition in dieser schwäbischen Kleinstadt. Trauer um die Verstorbene, Dankbarkeit für sie und Freude am Beisammensein miteinander teilen. Gemeinschaft auch vorher – im langen Leben und in der Zeit ihrer Unterstützungsbedürftigkeit: die Familie, der Pflegedienst, das Pflegeheim, der Palliativdienst… und zum Schluss auch die Pfarrerin, der Bestatter, die Leute vom Friedhof…
Ja, dachte ich, wir müssen uns wirklich Gemeinschaften suchen oder vorhandene pflegen oder beides. Wie wertvoll sind sie doch! Nicht alle sind wir so kraftvoll, so positiv eingestellt und kommunikativ, so eingebunden zeitlebens wie die Mutter meiner Freundin es war. Doch wir können wohl dennoch auch etwas dazu beitragen, unsere Gemeinschaften zu pflegen, sie vielleicht erst einmal wahrzunehmen und zu schätzen. Wir können beides dazu beitragen: geben und empfangen. Wichtig ist es wohl uns, ihnen und ihren Möglichkeiten zu öffnen. Auch in ganz alltäglichen Momente und Gesten. Einsamkeit in unserer Gesellschaft ist ein großes Thema geworden. Es hat viele Facetten. Es braucht unsere Aufmerksamkeit, für uns selbst und für andere. Verlieren wir dabei unsere guten Erfahrungen nicht aus dem Blick, öffnen wir uns für das Mögliche!
Ich wünsche Ihnen einen guten Sommer mit freundlichen gemeinschaftlichen Momenten und Begegnungen!
Diakonin Annette Stambke
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