Joachim Kübler sprach mit der Kinaestheticstrainerin Antoinette Ender.

Frage:
Guten Tag Frau Ender, schön, dass Sie sich für dieses Interview einen Moment Zeit nehmen. Sie sind Kinaestheticstrainerin. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Antoinette Ender:
Kinaesthetics ist die Lehre der Bewegungswahrnehmung. Das Wort Kinaesthetics findet seinen Ursprung in den zwei altgriechischen Wörtern: kineō (bewegen) und aisthēsis (Wahrnehmung oder Erfahrung). Eher geläufig ist uns der Begriff Anästhesie, also nichts wahrzunehmen, wie während einer Narkose oder einer Lokalanästhesie beim Zahnarzt.

Frage:
Wie kann die Kinaesthetics in der Pflege hilfreich sein?

Antoinette Ender:
Ich arbeite in einem Berührungsberuf, habe täglich viele unterschiedlichste Interaktionen mit anvertrauten Klienten. Dies ist nicht nur sprachlich zu verstehen, sondern ganz besonders in Bezug auf die Berührung und die Bewegung zu sehen. Die zahlreichen Bewegungsunterstützungen wollen gut gestaltet sein.

Zum einen innerhalb des Bettes: Kopfwärts bewegen, zur Seite drehen oder auch seitlich im Bett bewegen. Um dann z. B. leicht an die Bettkante kommen zu können oder sich umzusetzen in einen Stuhl. Aufstehen vom Bett oder von einem Stuhl, sowie unterstützen beim Laufen. Nicht zu vergessen die vielen kleinen Bewegungen, die am Ort stattfinden, Essen und Trinken, An- oder Ausziehen, Atmen u.v.m.!

Kurz: Kinaesthetics lässt mich achtsamer sein für das, was es jetzt gerade im Moment braucht bzw. welche Unterstützung für die betroffene Person gerade hilfreich sein könnte. Und die Kinaesthetics hilft mir, Angebote zu machen, dass die andere Person in ihrer Gesundheitsentwicklung gefördert wird und so gut wie möglich selbstbestimmt bleiben kann. Je besser ich als Helferin oder Helfer verstanden habe, wie all diese Bewegungen gehen, desto kompetenter erfährt sich die oder der Betroffene und die Helferin oder der Helfer überlastet sich nicht.

Frage:
Es geht also um Hebetechniken?

Antoinette Ender:
Nein, man sollte keinen Menschen von A nach B mit einer bestimmten Technik heben. Jeder Mensch hat seine eigenen Verhaltens- und Bewegungsmuster entwickelt und braucht deshalb ein passendes Bewegungsangebot. Wir Menschen sind Geher, wir hüpfen selten durch unsere Wohnung oder durch die Fußgängerzone. In der Regel verlagern wir unser Gewicht in der Schwerkraft auf eine gehende Art und Weise. In der Pflege wird die Fortbewegung dann oft hüpfend gestaltet, also gehoben oder getragen – was weder für die helfende Person noch für die betroffene Person hilfreich ist.

Frage:
Diese Hebeaktivitäten können ja nicht nur bei professionell Pflegenden, sondern auch bei pflegenden Angehörigen zu einer starken Belastung werden.

Antoinette Ender:
Ja genau, zu den vielen Tätigkeiten, die sie für ihre anvertraute Person ohnehin schon leisten, kommt dann auch noch diese körperliche Belastung durch das Heben hinzu. Die gute Nachricht ist aber, dass ich durch die Kinaesthetics-Blickwinkel ein Werkzeug habe, das mir hilft, zum einen die Situation besser zu verstehen. Zum anderen kann ich dadurch auch hilfreiche und nützliche Angebote machen, um mit der betroffenen Person in Bewegung zu kommen. Und zwar indem ich mit der Schwerkraft körperorientiert arbeite, statt gegen die Schwerkraft Raumorientiert nach oben zu heben.

Frage:
Wo kann man zusätzliche Informationen bekommen?

Antoinette Ender:
Es gibt zum einen die Möglichkeit, 1x im Monat im Krankenhaus St. Marienwörth kostenfreie Beratungen zu diesen Themen zu nutzen. Die Termine kann man der Homepage entnehmen.

Frage:
Gibt es auch ein Angebot für eine Beratung zu Hause?

Antoinette Ender:
Einige Krankenkassen übernehmen auch bis zu drei Beratungen vor Ort in der häuslichen Umgebung. Welche Kassen das sind und in welchen Schritte man da vorgehen muss, kann individuell besprochen werden.

Frage:
Können Interessierte, wenn sie noch niemanden pflegen oder noch keinen Pflegegrad haben, die Beratungen besuchen?

Antoinette Ender:
Jederzeit können sich noch nicht Betroffene informieren und für den Fall eines Falles rüsten. Das empfehle ich sogar, denn viele ungünstige Bewegungsmuster können so schon erkannt und eventuell entgegengewirkt werden. Bei den kostenfreien Informations- und Beratungsveranstaltungen, können sie übrigens so oft sie möchten mit ihren Fragen und Themen kommen.

Frage:
Ist es auch möglich, sich noch intensiver mit diesem Thema zu beschäftigen?

Antoinette Ender:
Ja, auch Kinaesthetics Grundkurse für Interessierte, ehrenamtlich Tätige und pflegende Angehörige können gestaltet werden. Ein Grundkurs besteht immer aus 21 Unterrichtseinheiten, die je nach Wunsch der mindestens 5 Teilnehmer verteilt werden können. Entweder 7 Abende von 16:30  19:00 Uhr oder 2 Freitage von 16:00  19:00 und 2 Samstage von 10:00 bis 16:00.

Frage:
Wie müssen Interessierte vorgehen und was kosten die Kurse?

Antoinette Ender:
Wenn Interesse besteht, kann man sich gerne auf eine entsprechende Liste setzen lassen. Sobald die Mindestteilnehmerzahl erreicht ist, kann der Kurs starten. Der Kurs selbst kostet nichts – es fällt lediglich ein Unkostenbeitrag von 25,- Euro pro Person für die Kursunterlagen an.

Frage:
Das klingt alles sehr interessant, jetzt bin ich neugierig geworden! Wie kann ich noch mehr über die Kinaesthetics erfahren?

Antoinette Ender:
Auf der Homepage www.wir-pflegen-zuhause.de kann man noch viele weitere Informationen von Kinaesthetics Deutschland erhalten! Unter anderem gibt es dort Fotos von Bewegungsunterstützungen sowie 6 Erklärvideos zu verschiedenen Kinaesthetics Konzeptblickwinkeln. Es gibt dort auch ein Verzeichnis aller Kinaesthetics Trainerinnen und Trainer und deren Kursangebote in ganz Deutschland.

Kontakt / Anmeldung:
Telefonnummer: 0157-3270 60 39
E-Mail: antoinette.ender@marienwörth.de