Das Interview führte Joachim Kübler
Nicht jede Vergesslichkeit deutet ja auf eine Demenz – was sind die ersten Anzeichen und wann raten Sie zu einer Diagnose durch einen Arzt?
Die ersten Anzeichen für eine Demenz können sehr unterschiedlich sein. Dies kann sich zum Beispiel im häufigeren Vergessen von kurz zurückliegenden Ereignissen zeigen, aber auch, dass bisherige Interessen und soziale Kontakte vernachlässigt werden, jemandem Tätigkeiten, die gewohnt sind, zunehmend Schwierigkeiten bereiten. Auch Stimmungsschwankungen, von denen unklar ist, woher sie kommen, oder auch ein wiederholtes und hartnäckiges Abstreiten von Fehlern oder Verwechslungen können auf eine Demenz hindeuten. Jedoch gibt es nicht die eine Demenz, sondern hier muss einerseits zwischen primären und sekundären (Folgeerscheinungen anderer Grunderkrankungen) Formen unterschieden werden. Die häufigsten Demenzerkrankungen sind primär und irreversibel, also nicht umkehrbar. Darunter fallen die Alzheimer-Erkrankung sowie auch vaskuläre (gefäßbedingte) Demenzen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Formen und sich daraus ergebender verschiedener Behandlungsmöglichkeiten sehe ich einen Grund, weshalb eine Diagnostik wichtig ist. Eine frühzeitige Diagnose kann den Betroffenen die Chance eröffnen, sich mit der Erkrankung und deren Folgen auseinanderzusetzen und Hilfeangebote anzunehmen. Auch für eine Abgrenzung von einer Depression im Alter ist die Diagnosestellung enorm wichtig. In der Beratungspraxis erlebe ich es auch immer wieder, dass Angehörige den Verdacht einer Demenz äußern und sich Gewissheit wünschen, um ihre Mutter/Vater passgenauer unterstützen zu können. Vielleicht ein Beispiel dazu: eine Tochter sieht Anzeichen, dass ihre Mutter mit der Körperpflege nicht mehr so gut zurechtkommt, immer wieder die gleiche Kleidung trägt und vielleicht kaum „Schmutzwäsche“ hat, wenn sie am Wochenende kommt. Sie fühlt sich hilflos, weil sie nicht weiß, wie sie damit umgehen soll. Wäre der Tochter jedoch bekannt, dass ihre Mutter aufgrund einer Alzheimerdemenz nicht mehr in der Lage dazu ist, sich ausreichend zu pflegen, könnte sie sie besser und angepasst an die Erkrankung unterstützen und auf ihre Mutter eingehen. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, die Diagnose allein reicht nicht aus, sondern eine Beratung zur Erkrankung und zum Umgang mit einem Menschen mit dieser Diagnose, halte ich für sehr wichtig. Hier ist die Alzheimergesellschaft RLP eine gute Anlaufstelle. Aber auch eine Schulung für Angehörige von Menschen mit Demenz, wie sie auch einmal pro Jahr vom Pflegestützpunkt angeboten wird, kann sehr hilfreich sein.
Was kann eine an Demenz erkrankte Person überhaupt noch selbst tun?
Ein an Demenz erkrankter Mensch kann je nach Fortschritt der Erkrankung noch zahlreiche Dinge im Alltag tun. Allerdings nehmen diese mit Fortschreiten der Erkrankung ab und es benötigt verstärkt der Begleitung und kleinschrittigen Anleitung. So kann vielleicht jemand nicht mehr ein komplettes Mittagessen kochen, aber bei der Zubereitung behilflich sein. Und dann kann es plötzlich währenddessen passieren, dass ein verloren geglaubtes Kochrezept plötzlich wieder im Kopf der betroffenen Person auftaucht. Diese Begleitung ist wichtig, damit die vorhandenen Fähig- und Fertigkeiten so lange, wie möglich noch beibehalten werden.
Was bekommen pflegende Angehörige als finanzielle Unterstützung?
Für Angehörige, die erkrankte/pflegebedürftige Familienmitglieder unterstützen, wird der pflegebedürftigen Person ab Pflegegrad 2 ein Pflegegeld zur Verfügung gestellt. Die Höhe ist abhängig vom jeweiligen Pflegegrad sowie darüber hinaus genutzten Diensten. Übernimmt bspw. ein Pflegedienst das wöchentliche Duschen der Mutter, wird nicht mehr der volle Betrag des Pflegegeldes im jeweiligen Pflegegrad ausgezahlt, sondern nur noch ein anteiliges Pflegegeld. Jedoch ist das Pflegegeld nicht mit einem Gehalt vergleichbar, so dass pflegende Angehörige, die ihre berufliche Tätigkeit reduziert oder aufgegeben haben, oftmals finanziell schlechter gestellt sind. Sind Angehörige als Pflegeperson bei der Pflegekasse anerkannt, nicht mehr als 30 Wochenstunden berufstätig bzw. noch nicht berentet, übernimmt die Pflegekasse Zahlungen in die Rentenversicherung und ggf. auch in die Arbeitslosenversicherung der Pflegeperson.
Wann sollte ein ambulanter Pflegedienst einbezogen werden, welche Leistungen übernimmt der und wie finanziert der sich?
Ein Pflegedienst bzw. auch andere professionelle Unterstützung, wie anerkannte Dienstleister für Hauswirtschaft und Betreuung, sollten frühzeitig hinzugezogen werden, auch wenn anfangs der Hilfebedarf noch nicht so groß ist. Dadurch ist die Chance gegeben, dass die an Demenz erkrankte Person noch Vertrauen und eine Beziehung zu den Pflege- und Betreuungskräften aufbauen kann, wodurch die Hilfe leichter zugelassen wird. Außerdem kann damit einer Überforderung des pflegenden familiären Umfelds vorgebeugt werden und den Angehörigen verbleibt mehr Zeit im persönlichen Miteinander mit der erkrankten Person. Denn auch für Angehörige erfordert die Diagnose Demenz ein „Hineinwachsen“ in die neue Lebenssituation und Beziehung zu den Eltern. Je nachdem welche Leistung – Hilfe bei der Körperpflege, im Haushalt, bei der Betreuung, medizinische Leistungen – der Dienst erbringt, können Leistungen der Kranken- und/oder Pflegeversicherung in Anspruch genommen werden. Voraussetzung für die Leistungen aus der Pflegeversicherung ist das Vorhandensein eines Pflegegrades. Ab Pflegegrad 2 stehen Sachleistungen ab einem Betrag von 724 Euro zur Verfügung. Zusätzlich zu dieser Leistung sowie im Pflegegrad 1 stehen sog. Entlastungsleistungen zu, die ebenfalls für solche Dienste genutzt werden können.
Oft arbeiten pflegende Angehörige noch nebenbei. Unter welchen Voraussetzungen ist für diese Zeit eine teilstationäre Unterbringung möglich und wer trägt diese Kosten?
Der Besuch einer Einrichtung der Tagespflege ist grundsätzlich für alle diejenigen möglich, die einen Pflegegrad anerkannt bekommen haben. Allerdings stehen im Pflegegrad 1 lediglich 125 Euro Entlastungsleistungen pro Monat für eine solche Möglichkeit zur Verfügung, ab Pflegegrad 2 gibt es neben Pflegegeld/Sachleistung eine weitere finanzielle Unterstützung zur Tagespflege. Allerdings ist der Betrag in der Regel nicht kostendeckend und weitere Leistungen, wie Entlastungsleistungen und Verhinderungspflege, müssen hinzugezogen werden. Der Besuch der Tagespflege kann mit oder ohne Fahrdienst an einzelnen bis hin zu 5 Tagen pro Woche genutzt werden. Sinnvoll kann ein solcher Besuch nicht nur bei Berufstätigkeit der Angehörigen sein, sondern auch zur Entlastung dieser oder um dem an Demenz erkrankten Menschen eine Alltagsstruktur und eine Förderung der Fähigkeiten sowie Abwechslung zuteilwerden zu lassen.
Gerade pflegende Angehörige brauchen Urlaub oder sind auch mal krank. Wie oft ist eine Kurzzeitpflege möglich und was kostet die?
Für einen vorübergehenden kurzzeitigen Aufenthalt in einer Pflegeeinrichtung stehen mehrere Finanzierungsmöglichkeiten über die Pflegeversicherung zur Verfügung, die einzeln oder in Kombination genutzt werden können. Daraus kann sich ein maximaler Aufenthalt von bis zu 8 Wochen ergeben. Jedoch decken diese Leistungen nicht zwangsläufig die kompletten Kosten für einen Aufenthalt; Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten müssen oftmals privat getragen werden.
Wann ist aus Ihrer Sicht der Zeitpunkt gekommen, dass eine vollstationäre Unterbringung nötig ist?
Dies ist individuell sehr verschieden. Ein Zeitpunkt könnte sein, wenn die betroffene Person es selbst möchte (und auch noch gut darüber entscheiden kann), bspw. weil sie ihre Angehörigen nicht belasten möchte oder nur noch sehr schlecht allein sein kann und Ängste in solchen Situationen entwickelt. Ein anderer Moment könnte sein, wenn das bisherige Helfernetz nicht mehr tragfähig ist, weil vielleicht die Hauptpflegeperson ausfällt und kein Ersatz möglich ist oder andere Unterstützungsmöglichkeiten nicht ausreichend sind. Wichtig ist in einem solchen Fall immer, genau zu schauen, welche Motive begründen einen solchen Schritt und vielleicht Alternativen in Betracht zu ziehen. Dazu kann auch eine Beratung durch den Pflegestützpunkt in Anspruch genommen werden. Auch habe ich es in meiner Tätigkeit schon erleben müssen, dass zum Beispiel eine alleinlebende Frau während eines Krankenhausaufenthaltes gesagt bekommen hat, dass sie besser in eine Pflegeeinrichtung umziehen solle. In einer Beratung konnte ich ihr jedoch zahlreiche Möglichkeiten aufzeigen und bei der Organisation helfen, so dass sie letztlich noch mehrere Jahre in ihrem eigenen Haus leben konnte. Was ich damit sagen will, ist, dass eine professionelle Beratung durch uns oder auch andere Dienste im Einzelfall enorm wichtig sein kann, bevor der Entschluss für einen Umzug in eine Pflegeeinrichtung getroffen wird. Und vielleicht gibt es ja auch Alternativen zu klassischen Pflegeeinrichtungen, wie zum Beispiel Pflege- oder Demenz-WGs. Eine Beratung kann auch den Angehörigen im Nachhinein etwas von ihrem möglichen schlechten Gewissen befreien, zu wissen, alles Mögliche getan zu haben.
Wer trägt die Kosten für diese Unterbringungen?
Die Kosten für eine Unterbringung in einer vollstationären Pflegeeinrichtung werden zum Teil über die Pflegeversicherung – für Pflege und Betreuung – finanziert und müssen zum anderen Teil – für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten – privat getragen werden. Ist dieser Teil nicht aus dem eigenen Einkommen oder Vermögen sicherzustellen, kann beim Sozialamt der Kreisverwaltung ein Antrag auf Hilfe zur Pflege gestellt werden. Es werden dann die finanzielle Situation der antragstellenden Person sowie unterhaltspflichtiger Angehöriger geprüft. Seit 01.01.2020 gilt für unterhaltspflichtige Angehörige jedoch erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von mehr als 100.000 Euro eine Unterhaltspflicht und somit Beteiligung an den Kosten. Für weitere Informationen zu diesem sehr umfangreichen und nicht immer einfachen Thema kann neben der Kreisverwaltung auch das Informations- und Beschwerdetelefon Pflege bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz kostenfrei in Anspruch genommen werden. Zieht eine Person dagegen in eine Wohngemeinschaft, gelten hier die Grundsätze der ambulanten Versorgung.
Welche Selbsthilfe-Gruppen gibt es im Raum Bad Kreuznach?
In der Region Bad Kreuznach sind mir drei Angebote bekannt: der bereits langjährig bestehende Gesprächskreis der Franziskanerbrüder in Bad Kreuznach, ein Gesprächskreis in Neu-Bamberg sowie ein Gesprächskreis über das Projekt demStepCare der Rheinhessenfachklinik in Alzey. Alle diese Gesprächs- und Austauschangebote richten sich an die Angehörigen/Zugehörigen von Menschen mit einer Demenzerkrankung. Aufgrund von Corona sind derzeit jedoch nicht alle Angebote aktiv. Eine Selbsthilfe-Gruppe für an Demenz erkrankte Menschen selbst, bspw. in einem frühen Stadium, existieren in unserer Region meines Wissens nicht.
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